Wie jeden Sonntag geht er zum Bahnhof, geradewegs zu Gleis 12. Er lässt sich nicht ablenken.
Nicht von dem Crêpes Stand mit den übergroßen Nutella Gläsern. Und auch nicht von dem Saxofonspieler, der heute auf Gleis 10 spielt (nicht mehr lange, Frau Müsig hat bereits das Ordnungsamt informiert – das wäre ja noch schöner, wenn jetzt jeder spielt wo er will…).
Dann ist er da. Mittlerer Gleisbereich, Abschnitt C. Ludgers persönlicher Glücksort.
Er wird sich heute zwischen einer Cola und einer Fanta, zwischen sauren Glühwürmchen und einer Bifi entscheiden. Keine leichte Entscheidung, aber er kann das.
Er ist gut in Entscheidungen. Ludger holt die vorbereiteten Münzen aus der Tasche. Legt sie auf den Schieber und drückt ihn rein. Er ist hoch konzentriert. Und dann geht es los. Das Schauspiel, das er so liebt:
Das Klackern, wenn die Münze im System verschwindet. Ludger weiß, dass der Automat, einem Eisberg gleich, nur die Spitze ist. Dass sich darunter das eigentliche System befindet. Ein weitverzweigtes Labyrinth, das sich meterweit, ach was, kilometerweit in die Leipziger Tiefe ausbreitet. Wie ein Pilz. Ja genau, ein Pilz. Ein ausgeklügeltes System, das nur er kennt. Ludger, 39, Hobbyastrologe und Bifi-Liebhaber. Wie bei Gringotts könnte er sich mit rasanter Fahrt vom Gummibärchen Verlies bis zum Erdnuss Lager fahren lassen. Mit einem letzten Abstecher in die Caprisonnen Höhle. Eines Tages wird es soweit sein. Er muss nur den Eingang finden..
Ein Mann mit einer Cola und einer Bifi passiert das Gleis 10. Leise Gitarrenmusik erklingt, eine Frau telefoniert. Ein ganz normaler Sonntag am Leipziger Bahnhof.